Handlungsfelder für klimafreundliche Gesundheitseinrichtungen

Handlungsfeld Diagnostik und Therapie

„Es ist nicht gesagt, dass es besser wird, wenn es anders wird. Wenn es aber besser werden soll, muss es anders werden.“

(August von Kotzebue, Schriftsteller, 1761-1819)

Warum ist das Handlungsfeld Diagnostik und Therapie wichtig?

Laut einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung unter etwa 4.000 Internist:innen halten über die Hälfte der befragten Ärzt:innen das Thema Überversorgung für ein großes bis sehr großes Problem des Gesundheitssystems (Quelle: Bertelsmann Stiftung, Dr. Angela Coulter, Choosing Wisely).

Die, auch im internationalen Vergleich, begrenzte Verwendung digitaler Abläufe ist zweifellos eine der Hauptursachen für die Durchführung mehrfach wiederholter Diagnostik und Verschreibungen. Die Implementierung einer digitalen Patient:innenakte könnte hierbei Abhilfe schaffen. Jedoch führen auch finanzielle Fehlanreize durch das DRG-System, der Wunsch nach rechtlicher Absicherung, politische Zielsetzungen und die Erwartungshaltung von Patient:innen oftmals zu diagnostischen Maßnahmen und Therapien, die der Gesundheit der Bevölkerung nicht nutzen oder sogar schaden können.

In Zeiten des Fachkräftemangels steigt mit unnötigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen die zeitliche Beanspruchung von Mitarbeitenden des Gesundheitswesens, die sowieso unter starker Zeitnot stehen. Zudem fällt ein unnötiger Ressourcenverbrauch an, der mit hohen Kosten und Emissionen verbunden ist. In den vereinigten Staaten von Amerika vertreten einige Studien-Autor:innen die Ansicht, dass sich die Kosten der Gesundheitsversorgung um bis zu einem Drittel reduzieren ließen, ohne den Patienten:innen notwendige Behandlungen vorzuenthalten.

(Quelle: Brody, „Medicine’s Ethical Responsibility for Health Care Reform–the Top Five List“)

Hinweis

Die Sicherheit und das Wohlbefinden von Patient:innen stehen immer an erster Stelle. Alle medizinischen Entscheidungen sollten aufgrund einer gründlichen Untersuchung des individuellen Patient:innenfalls und unter Berücksichtigung aktueller medizinischer Erkenntnisse getroffen werden. Jegliche Empfehlungen zur Vermeidung von Überversorgung sind als generelle Hinweise zu verstehen und sollten nicht als Abschaffung notwendiger medizinischer Versorgung missverstanden werden.

Es ist uns wichtig zu betonen, dass das Handlungsfeld Diagnostik und Therapie sich auf Beobachtungen und Meinungen von Ärzt:innen und Expert:innen basiert, die in persönlichen Gesprächen, Umfragen und Studien zur Überversorgung im Gesundheitswesen ausgedrückt wurden. Dieser Beitrag hat nicht die Absicht, medizinische Ratschläge oder Empfehlungen zu ersetzen oder zu beeinflussen.

Vielmehr dient er dazu, auf mögliche Probleme in Bezug auf unnötige medizinische Maßnahmen aufmerksam zu machen und zur Diskussion anzuregen. Wir schätzen die harte Arbeit und das Engagement der medizinischen Fachkräfte, die täglich daran arbeiten, die bestmögliche Versorgung für ihre Patient:innen zu gewährleisten.

Dieser Artikel zielt darauf ab, Bewusstsein zu schaffen und einer offenen Diskussion über Themen des Gesundheitswesens, die von allgemeinem Interesse sind, einen Raum zu geben.

Welche Herausforderungen gibt es im Handlungsfeld Diagnostik und Therapie?

Um bereits Studierende und Berufsanfänger:innen für einen bewussten Einsatz medizinischer Leistungen zu sensibilisieren, sollte jede Einrichtung eigene „Choosing-Wisely-Leitlinien“ erarbeiten. Dadurch kann ein verbindlicher Rechtsrahmen geschaffen werden. Die Erfahrung zeigt nämlich: Viele Entscheidungen werden aufgrund des Bedürfnisses nach Absicherung getroffen, ohne medizinische Evidenz oder Vorteile für die einzelnen Patient:innen zu haben.

Folgende Bereiche stehen im Fokus der medizinischen Überversorgung

  • Laboruntersuchungen: Wenn den aktuellen medizinischen Therapeut:innen die Ergebnisse der bereits durchgeführten Tests nicht vorliegen, werden häufig sich wiederholende Laboruntersuchungen durchgeführt.
  • Medikamentenverordnungen: Aufgrund fehlender Übersicht über die aktuell eingenommenen Medikamente, unnötiger Polypharmazie oder fragwürdigen Indikationen werden einigen Patient:innen übermäßig viele Medikamente verschrieben.
  • Apparative Diagnostik: Falls die gegenwärtigen apparativen Diagnoseergebnisse den behandelnden Ärzt:innen nicht vorliegen, kann es zu wiederholten bildgebenden Verfahren wie Röntgen, CT-Scans oder MRTs kommen, die unter anderem zu einer unnötigen Strahlenbelastung der Patient:innen führen.
  • Krankenhausaufenthalte und medizinische Interventionen: Mangelnde Kommunikation, fehlende oder unvollständige Diagnosen sowie nicht durchgeführte evidenzbasierte Praktiken können zu überflüssigen oder unnötig langen Krankenhausaufenthalten mit zusätzlichen medizinischen Interventionen führen.
  • Operationen: Es können operative Eingriffe vorgeschlagen werden, obwohl konservative Methoden effektiver oder angemessen wären.

Co-Benefits

Die medizinische Indikation und Notwendigkeit einer Maßnahme sollte immer das primäre Entscheidungskriterium für die Durchführung von Diagnostik und Therapie sein und vor dem Aspekt der Ressourcenschonung stehen.

Wenn die einzelnen medizinischen Abteilungen jedoch entsprechende Leitlinien erstellen, die Vorteile der Digitalisierung genutzt und die Empfehlungen der Fachgesellschaften konsequent umgesetzt werden, ergeben sich die folgenden Co-Benefits:

  • Weniger Nebenwirkungen für Patient:innen: Die Vermeidung unnötiger medizinischer Eingriffe verringert auch das Auftreten assoziierter Nebenwirkungen.
  • Entlastung des Gesundheitspersonals: Die Einsparung unnötiger Diagnostik, Therapien und Verwaltungsaufgaben schont die wertvolle Zeit des Gesundheitspersonals.
  • Kosteneinsparung: Die begrenzten finanziellen Mittel des Gesundheitswesens können durch Verringerung der Überversorgung für eine bessere Patient:innen-Behandlung eingesetzt werden.
  • Einsparung von Ressourcen und Treibhausgasen: Jede unnötige diagnostische und therapeutische Maßnahme geht mit dem Verbrauch von Material und der Produktion von Treibhausgasemissionen einher. Daher bedeutet weniger Überversorgung mehr Klimaschutz.

Best Practice Beispiele für Patient:innen-Versorgung

Die Bertelsmann Stiftung hat mit ihrem „Choosing Wisely“-Ansatz Empfehlungen veröffentlicht, die primär der besseren Patient:innen-Versorgung dienen, gleichzeitig aber auch der Nachhaltigkeit in der Gesundheitsversorgung zugute kommen.

Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) hat konkrete Empfehlungen zur Vermeidung von Über- und Fehlversorgung für die Bereiche Angiologie, Endokrinologie, Gastroenterologie, Hämatologie und medizinische Onkologie, Infektiologie, Innere Medizin, Kardiologie, Lehre, Nephrologie , No-Go’s bei Medikamentenkombinationen, Notaufnahme, Palliativmedizin, Pneumonologie und Rheumatologie zusammengestellt.

Materialien und Link-Tipps

  • Das britische NICE (National Institute for Heath and Care Excellence) hat eine „Do-not-do-Liste“ erarbeitet mit mehr als 1.000 medizinischen Interventionen, die besser unterlassen werden sollten.

Ihre Projekte

Haben Sie zusätzliche Vorschläge, Kommentare oder gute Best-Practice-Beispiele?

Wir freuen uns über Ihre Anregungen, um unsere Arbeitsbereiche kontinuierlich zu optimieren. Kontaktieren Sie uns hierzu gerne unter info@klimeg.de.

Ansprechpartner:in

Dr. med. Matthias Albrecht, MBA

Ihr Ansprechpartner für das Thema Diagnostik und Therapie

info@klimeg.de