Handlungsfelder für klimafreundliche Gesundheitseinrichtungen

Handlungsfeld Medikamente

„Wahrheit ist eine widerliche Arznei;
man bleibt lieber krank, ehe man sich entschließt, sie einzunehmen.

(August von Kotzebue, Schriftsteller, 1761-1819)

Warum ist das Handlungsfeld Medikamente wichtig?

Global gesehen ist die pharmazeutische Industrie für mehr Emissionen verantwortlich als die Automobilindustrie. Auch wenn in Deutschland eine genaue Erfassung der durch den Pharmasektor verursachten Emissionen bislang fehlt, zeigen die Berechnungen anderer Länder wie England oder Österreich, dass pharmazeutische Produkte ca. 20 % der Emissionen im Gesundheitswesen ausmachen.

Neben den Treibhausgasemissionen wirken sich auch Arzneimittelrückstände – vor allem im Wasser – sowohl auf die menschliche Gesundheit als auch die Umwelt, beschrieben als Ökopharmakovigilanz, aus. Einer Analyse des Umweltbundesamtes (UBA) zufolge wurden im Jahr 2016 bereits 16 pharmazeutische Wirkstoffe im Oberflächen-, Grund- und Trinkwasser aller Weltregionen nachgewiesen, allen voran das Schmerzmittel Diclofenac – dieses oft in ökotoxikologisch relevanten Konzentrationen. Insgesamt wurden in den untersuchten Regionen 631 Wirkstoffe gefunden. Dabei bilden die offiziellen Zahlen nur einen Teil der tatsächlichen Wasserverunreinigung ab, da in vielen Teilen der Welt keine ausreichenden Messdaten vorliegen..

Siehe auch: CPHP Policy Brief 01-2023 (Pdf-Datei)

Was ist beim Handlungsfeld Medikamente besonders zu beachten?

Für Krankenhausapotheken bestehen verschiedene Möglichkeiten, im Sinne der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit aktiv zu werden. Einerseits kann im Rahmen des Einkaufs von Arzneimitteln und Medizinprodukten auf die Hersteller bzw. Lieferanten eingewirkt werden, damit diese die Produktion und Distribution nachhaltiger gestalten.

Andererseits kann die Apotheke bei der Auswahl der Produkte das Kriterium der Nachhaltigkeit mit einbeziehen: Viele der für die Arzneimittelversorgung eingesetzten Wirkstoffe werden als Generika von verschiedenen Herstellern angeboten. Auch bei Medizinprodukten gibt es häufig austauschbare Produkte von unterschiedlichen Herstellern. Bei diesen Produkten sollte die Einkaufsentscheidung für ein bestimmtes Produkt nicht nur auf Basis des günstigsten Preises getroffen werden, sondern es sollten Qualitätskriterien, Kriterien der Liefersicherheit sowie auch Kriterien der Ökobilanz des Präparats in die Produktbewertung einbezogen werden.

Unit-Dose-System

Das Konzept des Unit-Dose-Systems wird innerhalb von Krankenhäusern zur Arzneimittelversorgung angewandt. Hierbei werden sämtliche Medikamente von der Klinikapotheke spezifisch für jeden Patienten zusammengestellt, verpackt und mit Etiketten versehen (eventuell mithilfe eines Blisterautomaten). Anschließend erfolgt die Zustellung der individuellen Medikationseinheiten zu den verschiedenen Stationen.

Ist das Unit-Dose System für meine Gesundheitseinrichtung sinnvoll?

Die Unit-Dose-Versorgung in Krankenhäusern gewinnt stetig an Relevanz, unter anderem getrieben durch den Fördertatbestand „Digitales Medikationsmanagement“ des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG). Das Fraunhofer Institut (Logistik Planung, Forschung & Entwicklung – Fraunhofer IML) hat einen Nachhaltigkeitsvergleich zwischen der traditionellen Arzneimittelversorgung und der Unit-Dose-Versorgung erstellt. Für den Nachhaltigkeitsvergleich wurden eine Vielzahl an Kriterien berücksichtigt, die jeweils in die Bereiche Soziales, Ökologie oder Ökonomie einzuordnen sind. Die Abbildung stellt eine beispielhafte Basisbewertung von Unit-Dose dar, in der die blaue Linie die traditionelle Versorgung illustriert und die farbigen Linien die relative Veränderung beschreiben.

Bildunterschrift

Automatisierungsgrad (Ökonomie)

Der Hauptunterschied zwischen beiden Versorgungskonzepten ist der Automateneinsatz zur patientenindividuellen Verblisterung (Vereinzelung, Kommissionierung, Kontrolle) in der Unit-Dose-Versorgung. Während in der traditionellen Versorgung die Kommissionierung der Arzneipackungen, das Stellen der Arzneimittel in die Dispenser und die Kontrolle mitsamt den erforderlichen Prozessschritten manuell abläuft, geschieht dies in der Unit-Dose-Versorgung automatisch. Aus dem höheren Automatisierungsgrad resultiert ein geringerer Aufwand für die Mitarbeiter:innen, sodass die Arzneimittelbereitstellung im Sinne der Prozesskosten effizienter erfolgt. Ob sich die hohe Investition in eine Unit-Dose-Versorgung lohnt, hängt stark von der Größe des Krankenhauses ab und kann nicht allgemein beantwortet werden.

Verpackungsabfall (Ökologie)

Zur Berechnung des anfallenden Verpackungsabfalls für das Unit-Dose-System nach einer Beispielrechnung von Baehr dienten die Anzahl der vollstationären Patienten (33.688 Patienten pro Jahr), die durchschnittliche Verweildauer eines Patienten (6,9 Tage pro Patient) sowie die durchschnittlich bereitzustellende Arzneimittelanzahl (12 Arzneimittel pro Tag und Patient). Weiterhin fand die Betrachtung des Verpackungsabfalls unter Verwendung der Multi-Dose-Strategie statt (durchschnittlich 3 Arzneiformen pro Pouch [Schlauchbeutel]) und mit der Annahme, dass etwa 57 % der Arzneimittel als Schüttware erhältlich sind.

Ergebnis der Studie des Fraunhofer Instituts:

Die Umstellung von der traditionellen Versorgung auf die Unit-Dose-Versorgung kann als nachhaltig bewertet werden, jedoch können unterschiedliche Umsetzungsstrategien verfolgt werden, die individuell auf das Krankenhaus anzupassen sind. Somit sind bei einer Nachhaltigkeitsbewertung von sozialen, ökologischen und ökonomischen Kriterien je nach Krankenhaus unterschiedlich starke Ausprägungen zu erwarten. In jedem Fall führt die Integration von Unit-Dose und CLMM zu einer transparenten Informationsweitergabe und dies wiederum zu einer gesteigerten Arzneimitteltherapiesicherheit.

Womit können sie direkt anfangen?

  • Nutzen die das Angebot der Krankenhausapotheke für eine wöchentliche Apothekenvisite, um z. B. Poypharmazie zu vermeiden, oder Kombinationspräparaten zu bevorzugen.
  • Vereinbaren Sie mit der Apotheke Rücknahme-Optionen von Medikamenten, die nicht mehr benötigt werden, damit sie bei Ihnen nicht ablaufen.
  • Wählen Sie die passende Dosierungen und Konzentrationen für Medikamente (Bsp.: Propofol in 20 ml oder 50 ml Flaschen in der Anästhesie, je nach zu erwartender Länge der OP)
  • Erwägen Sie die Einführung eines Unit-Dose-Systems, um Tablettenverwurf zu vermeiden (hier Link zum Artikel Unit Dose System)
  • Entsorgung: Das korrekte Entsorgen von abgelaufenen oder nicht mehr benötigten Medikamenten ist entscheidend, um eine Verschmutzung von Wasserquellen oder Böden zu vermeiden. Krankenhäuser sollten geeignete Rücknahmesysteme oder Sammelstellen für Medikamentenabfälle bereitstellen.
  • Umweltfreundliche Medikamentenauswahl: Dies beinhaltet beispielsweise die Berücksichtigung von Umweltauswirkungen bei der Auswahl von Medikamenten und die Priorisierung von solchen, die leicht abbaubar und weniger toxisch für die Umwelt sind.
  • Schulung und Sensibilisierung: Krankenhäuser sollten das Bewusstsein für den Umweltschutz bei den Mitarbeitern schärfen und Schulungen zur richtigen Handhabung und Entsorgung von Medikamenten durchführen. Dadurch kann eine umweltbewusste Einstellung gefördert werden.

Best Practice Beispiele

Das UKE Hamburg beteiligt sich an einem Projekt von Professor Dr. Markus Heinrich vom Lehrstuhl für Pharmazeutische Chemie der Universität Erlangen-Nürnberg, der abgelaufene Medikamente von Kliniken für Forschungszwecke sammelt und verwendet.

In der Apotheke des Klinikums rechts der Isar wird seit mehreren Jahren das HERA-Instrument für die vergleichende Bewertung von generischen Präparaten vor Produktumstellungen eingesetzt. Ein Kriterium in Hinblick auf die Nachhaltigkeit ist z. B. die Frage nach der Produktverpackung. Hier kann berücksichtigt werden, ob bei der Umverpackung auf unnötiges Plastik verzichtet wird oder bei der Lieferung Mehrweg-Paletten eingesetzt werden. 2020 wurde das Instrument – auch vor dem Hintergrund zunehmender Lieferengpässe bei Arzneimitteln – unter anderem um die Frage ergänzt, ob die Produktion von Wirkstoff und Fertigarzneimittel in Europa erfolgt. Dies kann einerseits zu einer verbesserten Liefersicherheit und andererseits zu kürzeren Transportwege führen. Auch bei der durch das Qualitätsmanagement vorgegebenen Lieferantenbewertung sollten in Klinikapotheken Nachhaltigkeitskriterien mitberücksichtigt werden.

In der Apotheke des Klinikums rechts der Isar wird hierbei beispielsweise abgefragt, ob der pharmazeutische Unternehmer für seine Produkte den CO2-Fußabdruck angibt und eine soziale und/oder ökologische Nachhaltigkeitszertifizierung besitzt. Aktuell können von den pharmazeutischen Unternehmen, wenn überhaupt, nur erste Schritte in Richtung mehr Nachhaltigkeit nachgewiesen werden. Trotzdem bzw. gerade deswegen ist es wichtig, dass möglichst viele Einkäufer von Arzneimitteln (Krankenhausapotheken, öffentliche Apotheken, pharmazeutische Großhandlungen) im Rahmen ihrer Einkaufsentscheidungen Nachhaltigkeitskriterien bei den pharmazeutischen Unternehmen einfordern. So werden Unternehmen motiviert, sich durch die Berücksichtigung von „environmental“, „social“ und „governance“ (ESG) -Kriterien Wettbewerbsvorteile zu sichern. Die Originalarbeit finden Sie unter folgendem Link auf der Homepage der Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheit.

Materialien und Link-Tipps

Ihre Projekte

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Ansprechpartner:in

Dr. med. Anne Hübner

Ihre Ansprechpartnerin für das Thema Medikamente

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