Handlungsfelder für klimafreundliche Gesundheitseinrichtungen

Handlungsfeld Narkosegase

„Jedes Jahrhundert weiter wird neue Zauber der reinen Luft entdecken und wird sie wachsend verehren.“

(Carl Ludwig Schleich, Chirurg und Schriftsteller 1859 – 1922)

Warum ist das Thema Narkosegase wichtig?

Narkosegase gehören zu den fluorierten Kohlenwasserstoffen (FCKWs) und nehmen daher eine besondere Rolle unter den Medikamenten ein. 1987 wurde das sogenannte Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht auf den Weg gebracht und von 24 Regierungen sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaft unterzeichnet. 2009 hatten 197 Vertragsstaaten das Montrealer Protokoll übernommen und verzichten seither auf die Nutzung von FCKWs. Die Produktionsmenge der Ozon-abbauenden Stoffen ist heute um 95 % gegenüber dem Jahr 1987 gesunken (Quelle Umweltbundesamt).

Seit dem Jahr 2000 produziert und verwendet der Großteil der Industrie daher keine FCKW-Gase mehr, abgesehen von den volatilen Narkotika. Das klimarelevante Problem von Narkosegasen ist ihr starkes Erderwärmungspotential (global warming potential/GWP), das ein Vielfaches von CO2 beträgt. Ein relevanter Aspekt ist zudem, dass der Treibhausgaseffekt nicht auf die Anwendungsdauer beschränkt ist, sondern über Jahre anhält. Beispielweise beträgt die atmosphärische Verweildauer von Sevofluran 1,1 Jahre, während die von Desfluran 14 Jahre anhält. Sevofluran produziert dementsprechend lediglich 5 % der Treibhausgasemissionen des klimaschädlicheren Desflurans.

Welche Herausforderungen gibt es im Handlungsfeld Narkosegase?

Um die, durch Narkosegase entstehenden Emissionen zu senken, sind bereits viele Maßnahmen bekannt. Einerseits trägt allein die Wahl des Narkosegases einen großen Anteil dazu bei, da – wie bereits geschildert – das GWP verschiedener Narkosegase erheblich variiert. Andererseits kann durch die Art der Narkoseführung – nämlich durch die Reduktion des Frischgasflusses – der Verbrauch des eingesetzten Narkosegases deutlich reduziert werden (Niedrigfluss-Narkose).

Seit Kurzem besteht die technische Möglichkeit, Narkosegase zu filtern und wiederaufzubereiten, um sie zu recyclen und ihren Einsatz somit klimaschonender zu gestalten. Dabei werden sie entweder über mobile Filtersysteme, die direkt am Narkosegerät angeschlossen sind, oder über fest installierte Anästhesiegasfortleitungssysteme in Kombination mit stationären Filtersystemen zurückgewonnen und der Wiederverwendung zugeführt. So lassen sich im Operationsbereich oder auf der Intensivstation umfänglich Treibhausgasemissionen vermeiden.

Das Recycling von Narkosegasen wird jedoch teilweise kritisch bewertet, da einige Studien zeigen, dass die Effektivität der Narkosegaselimination niedriger ist als angegeben. Zudem wird ein nicht unerheblicher Teil der zugeführten Narkosegase erst postoperativ von den Patient:innen ausgeatmet und dementsprechend nicht mehr aufgefangen. Des Weiteren bedarf es einer Umrüstung des verwendeten Narkosegerätes, was nicht immer möglich ist oder zu einem Garantieverlust des Gerätes führen kann.

Bei erfolgreicher Umrüstung können jedoch nicht nur Narkosegase recycelt, sondern auch auf die kontinuierliche Absaugung der Exspirationsluft durch das Atemgasfortleitungssystem des Narkosegeräts verzichtet werden. Dadurch wird neben der Reduktion der Treibhausgasemissionen ein hohes Energieeinsparpotential ermöglicht.

(Quelle: Was ist neu … beim Energieverbrauch der Atemgasfortleitungssysteme | SpringerLink)

Spezialfall Lachgas

Lachgas wurde 1772 erstmalig vom englischen Chemiker und Priester Josef Priestley synthetisiert. Bereits 1799 bemerkte Humphry Davy, ebenfalls Chemiker, dass die Einatmung von Lachgas zu einer Linderung von Zahnschmerzen führte. Im Rahmen von sogenannten „Lachgaspartys“ sammelte er erste zufällige Erfahrungen zum analgetischen Effekt des Gases. Zur genaueren Untersuchung führte er mit seinem Kollegen Dr. Thomas Beddoes Tier- und Selbstversuche durch, deren Ergebnisse sie 1800 in einem Buch veröffentlichen: 

„Da Stickoxydul in umfassender Weise geeignet zu sein scheint physische Schmerzen zu beseitigen, liegt es nahe, es mit dem Nutzen bei chirurgischen Operationen zu gebrauchen.“

(Quelle: Lachgas – überflüssig oder unverzichtbar? – pin-up-docs – don’t panic )

Bedingt durch seine lange Verweildauer in der Atmosphäre, ist Lachgas in klinischen Dosierungen ähnlich klimaschädlich wie Desfluran. Zwar gibt es heutzutage in den meisten in den Operationssälen keine Lachgasanlagen mehr, allerdings wird ein Lachgas-Sauerstoff-Gemisch in der Geburtshilfe und Pädiatrie sowie von Zahnärzt:innen weiterhin oft verwendet, wenn kein:e Anästhesist:in zur Verfügung steht.

Wichtig ist jedoch, dass die Indikationen zur Nutzung von Lachgas dieselben sind, wie die zur Nutzung von (anderen) Narkosegasen und es gibt viele Alternativen. Beispielsweise ist durch eine frühzeitige Hautanästhesie per Salbenpflaster am Handrücken eine schmerzfreie Anlage einer Venenverweilkanüle bei Kindern möglich und die benötigte Analgesie intravenös durchführbar. In der Geburtshilfe ist die Epiduralanästhesie eine bewährte und sichere Methode, den werdenden Müttern die Geburtsschmerzen zu erleichtern.

Wird es jedoch trotzdem verwendet, existiert mittlerweile die technische Möglichkeit, das ausgeatmete Lachgas in seine chemischen Bestandteile Stickstoff und Sauerstoff zu spalten und somit die klimaschädliche Wirkung zu reduzieren. Eine britische Arbeitsgruppe stellte 2022 eine Methode vor, Lachgas sofort nach der Exspiration aufzufangen und aufzuspalten. Dazu nutzte sie spezielle Ausatemventile, die die ausgeatmete Lachgasmischung direkt in eine sogenannte „Mobile Destruction Unit“ (MDU) leitet, in der die Aufspaltung des N2O stattfindet. Demnach gelangt theoretisch kein Lachgas mehr in die Umgebungsluft, jedoch hat die Methode deutliche Limitationen; beispielsweise die Intoleranz von dicht sitzenden Atemmasken bei Frauen unter der Geburt. (Pinder A et al. Implementing nitrous oxide cracking technology in the labour ward to reduce occupational exposure and environmental emissions: a quality improvement study. Anaesthesia 2022; 77: 1228–1236)

Co-Benefits

Kosteneinsparung durch …

  • einen geringeren Verbrauch an volatilen Anästhetika.
  • die Verwendung effizienterer und umweltfreundlicherer Alternativen.
  • Recycling von Narkosegasen.
  • Verzicht auf Atemgasfortleitungssystem bei Anwendung von Narkosegasfiltern: Hören Sie hierzu den Podcast über Nachhaltigkeit in der Anästhesie

Womit kann ich direkt anfangen?

Bitte beachten: Narkosegase sind Medikamente und die Wahl ist daher eine medizinische Entscheidung. Die Gesundheit der Patient:innen steht immer an erster Stelle. Wenn es mehrere Optionen gibt, die aus medizinischer Sicht gleichwertig sind, sollte das zweite Kriterium die Klimafreundlichkeit sein.

  • Verzicht auf Desfluran, Ersatz durch Sevofluran, was das geringste Treibhausgaspotential unter den Narkosegasen hat.
  • Verwendung von Lachgas nur in medizinischen Situationen, in denen es dringend erforderlich ist.
  • Verwendung von Regionalanästhesie vor TIVA (total intravenöse Anästhesie) – und TIVA vor Gasnarkose.
  • Filterung der verwendeten Narkosegase
  • Konsequente Minimalflow-Anwendung in der Narkoseführung
  • Ausschließliche Vorbereitung von Medikamenten, die tatsächlich auch gebraucht werden. (Diese Empfehlung basiert auf Forschungsergebnissen, die aufzeigen, dass bei über 80 % der untersuchten Anästhesieverfahren Medikamente aufgezogen wurden, die letztendlich nicht verabreicht wurden (Conway et al. 2020).)

Best Practice Beispiel

Narkosegase auffangen – Krankenhaus Salem Heidelberg und Hubertus Krankenhaus Berlin

Seit 2019 werden am Krankenhaus Salem Narkosegase in der Anästhesie gefiltert. Dies führt zu einer Einsparung von ca. 200 Tonnen CO2 pro Jahr. Zudem wird konsequent mit Niedrigfluss-Narkosen gearbeitet. Dadurch konnten in 12 Monaten ca. 57 % der Menge an Narkosegasen des Vorjahres eingespart werden, was einer Reduktion von ca. 400 Tonnen CO2 entspricht. Hier finden Sie die entsprechenden Artikel der Rhein-Neckar-Zeitung und des SWR.

Am Hubertus Krankenhaus Berlin läuft ebenso ein Forschungsprojekt mit dem Ziel möglichst viele Narkosegase wiederaufzufangen. Weiterführende Informationen werden von kma-online.de bereitgestellt.

Materialien und Link-Tipps

Ihre Projekte

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Ansprechpartner:in

Dr. med. Anne Hübner

Ihre Ansprechpartnerin für das Thema Narkosegase

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